Frieden! Wie?

Chancen und Hindernisse im Zusammenleben von Angehörigen verschiedener Religionen im Nahen Osten – Erhellende Einblicke von Dr. Uwe Gräbe im Café Vielfalt

Die Chance, aus erster Hand eine Einschätzung der Krisenregion im Nahen Osten zu erhalten, nahmen rund 30 Besucher*innen im Café Vielfalt wahr. Dr. Uwe Gräbe kennt den Nahen Osten seit 30 Jahren aus eigener Anschauung und war von 2006 bis 2012 Propst der deutschen evangelischen Gemeinde in Jerusalem. Er ist Geschäftsführer des Vereins für die Schneller Schulen im Nahen Osten.

Mit Aufnahmen aus Jerusalem, dem Libanon, Jordanien und Syrien illustrierte Gräbe die Beispiele gelingenden und nicht gelingenden Zusammenlebens verschiedener Bevölkerungs- und Religionsgemeinschaften. Zum Beispiel im Libanon und Syrien als vom Krieg traumatisierten Gesellschaften, in denen junge Männer größtenteils entweder im Krieg getötet wurden, kämpfen oder geflohen sind.

Gräbe stellte die im Nahen Osten oftmals strikte Trennung der Religionsgemeinschaften vor. Diese bilde sich in den Vierteln der Städte, den Gotteshäusern und in zum Teil eigener Gerichtsbarkeit ab, beispielweise im Erb- und Familienrecht. In Syrien, im Libanon und anderen Ländern des Nahen Ostens haben die religiösen Oberhäupter die Funktion, ihre Glaubensangehörigen dem Regierungsoberhaupt gegenüber loyal zu halten Jede Segmentierung habe ihren eigenen gesellschaftlichen Proporz. „ So lange diese Segmente im Gleichgewicht sind, ist es gut. Sind sie es nicht, gibt es Krieg.“

Eine Ausnahme sei Jerusalem, dort träten die Angehörigen der Glaubensgemeinschaften in einen streitbaren Dialog und rauften sich nach Phasen des gegenseitigen Fernbleibens immer wieder auch zusammen.

Ein Schlüssel zum Verständnis von Menschen, die etwa aus Syrien geflohen seien, sei es anzuerkennen, dass sie mit dem Integrationsbegriff, der hierzulande herrsche, zunächst einmal nichts anfangen könnten. „ Für die Angehörigen verschiedener Religionen gilt es in ihren Herkunftsländern als Wert, sich voneinander abzugrenzen, zu differenzieren und zu sortieren, eine Vermischung, wie sie unser Integrationsbegriff betont, ist dort kein Ideal, im Gegenteil“, so Uwe Gräbe: „Man muss erstmal verstehen, wo sie herkommen“. Deshalb sei es unklug, Menschen verschiedener Religionen nach einer traumatisierenden Flucht zusammen in Unterkünften unterzubringen. „Der Prozess der Integration nach unseren Maßstäben ist ein jahrzehntelanger“, so betonte der Referent, der selbst arabisch spricht. „Eine Annäherung kann nur im Gespräch geschehen. Religionen sind dynamische Gefüge. Die Phase der Segmentierung auch im neuen Ankunftsland muss erst einmal möglich sein zur Stabilisierung. Danach aber muss ein begleiteter Prozess aus dieser Segmentierung heraus führen“.

Drei Ausnahmen nannte er, in denen die Angehörigen verschiedener Religionen auch in den Ländern des Nahen Ostens gemeinsame Räume und Interessen teilen: Den Markt, die Krankenhäuser und die Schulen. Einblicke in die Arbeit der Schneller Schulen, bildeten den Abschluss von Gräbes Vortrag. Erziehung zum Frieden im Nahen Osten ist eine Idee, die Johann Ludwig Schneller schon 1860 mit der Gründung des Syrischen Waisenhauses umsetzte. Er gab Waisenkindern und Kindern aus armen Familien ungeachtet ihrer Religion ein Zuhause, ermöglichte ihnen eine Schul- und Berufsausbildung und bot ihnen so die Chance auf ein eigenständiges Leben. Die Johann-Ludwig-Schneller-Schule (JLSS) im Libanon und die Theodor-Schneller-Schule(TSS) in Jordanien setzen diese Tradition fort. Schnellers Leitsatz zum Ziel der Bildung der Schülerinnen und Schüler„ Den Frieden leben lernen und mit Ehre ihr eigenes Brot essen.“ In den Schneller- Schulen könne man nicht unterscheiden, wer woher komme, so Gräbe.

Nach den kenntnisreichen, lebhaft erzählten und einordnenden Schilderungen kamen die Zuhörer*innen mit dem Referenten ins Gespräch. Aus zwei Stunden Vortrag und Diskussion konnte man ein vertieftes Verständnis, neue Aspekte und viel Stoff zum Nachdenken mitnehmen. Jessica Keitel vom Kommunalen Integrationszentrum des Kreises Lippe sprach für das KI:“ Ich sage Danke für diese Veranstaltung, die am Prozess der Integration orientiert ist und Verständnis und Engagement dafür stärkt.“ Das KI hat die Woche für die Vielfalt vom 28.9. bis zum 7.10.18 initiiert. Daran hat sich Eben-Ezer u.a. mit der Ausrichtung des Abends mit Dr. Uwe Gräbe im Café Vielfalt beteiligt.

 

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