Sozialpolitisches Forum "Soziale Balance als Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft"

Am 13. November fand um 16:00 Uhr die Veranstaltung "Soziale Balance als Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft" mit den Referenten Dr. Frank-Walter Steinmeier und Walter Wüllenweber im Kirchlichen Zentrum der Stiftung Eben-Ezer statt. Die Veranstaltung war – kurz vor dem großen Weihnachtsmarkt am 1. Dezember – das letzte große Ereignis des mit großen Ereignissen prall gefüllten Jubiläumsjahres.

Dr. Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und Freund der Stiftung Eben-Ezer, hat vor zehn Jahren die Agenda 2010 mit auf den Weg gebracht. Ein Aspekt in seinem Vortrag waren die Herausforderungen an die Gesellschaft, die sich unter dem Druck der Finanzkrise noch verstärkt haben.

Der renommierte und mehrfach ausgezeichnete Journalist Wüllenweber beschäftigt sich vorwiegend mit gesellschaftspolitischen Themen vor allem von Randgruppen und analysiert, was den gesellschaftlichen Kitt stärkt oder zersetzt. Vor kurzem erschien von ihm das Buch "Die Asozialen", in dem er die provozierende These aufstellt, dass Ober- und Unterschicht als zwei Schichten zu identifizieren seien, die sich zunehmend in verschiedenen Aspekten angleichen und sich gleichzeitig von der bürgerlichen Mitte entfernen.

Im voll besetzten Kirchlichen Zentrum, rund 300 Personen hatten sich angemeldet, darunter viel Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kirche, begrüßte der Theologische Direktor Pastor Hermann Adam die Referenten und Gäste. Auf dem Podium hatten außer Frank-Walter Steinmeier und Walter Wüllenweber auch Udo Zippel, Kaufmännischer Direktor der Stiftung Eben-Ezer, Professor Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher vom Wittekindshof, der in diesem Jahr sein 125-jähriges Jubiläum feiert, und die Moderatorin Christine Förster Platz genommen.

Der Stern-Journalist Walter Wüllenweber war beeindruckt ob der Größe seines Publikums, wie er bemerkte. Auch sei es das erste Mal, dass er einen Vortrag von einer Kanzel hielte, dies sei schon eine etwas aufregende Erfahrung. Er fand aber schnell den Einstieg in sein außerordentlich spannendes, manchmal provokantes Referat: Schon immer habe er über die unteren Schichten berichtet, seit der Finanzkrise aber den Suchscheinwerfer um 180 Grad gedreht und auch die Oberen Zehntausend ins Visier genommen und dabei erstaunt fest gestellt: "Hier läuft es ja fast genauso wie in Essen-Katernberg!" Beide Schichten – die obere und die untere – hätten sich in ihren jeweiligen Parallelwelten abgeschottet und mieden den Kontakt zur Mittelschicht. Beide Schichten lebten von leistungsunabhängigen Einkommen, die Unterschicht von Transferleistungen des Staates, die Oberschicht von den eigenen Kapitalerträgen – zum Teil schon seit Generationen. Wüllenweber, der seinen Zivildienst in einer Einrichtung der Behindertenarbeit absolviert hat, konstatierte: "Ein wesentliches Merkmal der Unterschicht ist die Überforderung. Die Überforderung, an wesentlichen Bereichen der Gesellschaft teilzunehmen. Der deutsche Sozialstaat hat zwar die materielle Not beseitigt, aber bei der Teilhabe hapert es noch."

Wie Walter Wüllenweber sieht auch Dr. Frank.-Walter Steinmeier ein Auseinanderdriften der Gesellschaft. Dies dringe sogar bis in die Keimzelle, die Familie vor. "In den Familien gibt es keine Rituale, keine gemeinsamen Plätze mehr. Sogar vor dem Fernseher versammelt man sich nicht mehr, weil jeder seinen eigenen Bildschirm vor sich hat." Für ihn ist Bildung das Mittel der Wahl, mit dem eine Gesellschaft zusammen gehalten werden kann, mit dem die Schere zwischen arm und reich geschlossen werden kann. Bildung, die schon in der Kita beginnen sollte, denn "Altersarmut ist die Folge von Erwerbsarmut ist die Folge von Bildungsarmut", so Steinmeiers Formel. Er plädiert daher dafür, Mehrausgaben in den Ausbau des Bildungssystems zu stecken. Doch woher bei gebotenem Spardiktat die Mittel nehmen? "Der Spitzensteuersatz sollte nicht tabu sein", so Steinmeier. Dem geborenen Brakelsieker kam viel Sympathie entgegen und oftmals wurde er durch spontanen Applaus unterbrochen, so auch bei seiner sehr deutlichen Haltung zum Betreuungsgeld, das in seinen Augen zynisch und verantwortungslos sei und sofort wieder abgeschafft würde, wenn seine Partei die Regierungsverantwortung bekäme.

Grundsätzlich ist der SPD-Fraktionsvorsitzende der Überzeugung, dass, "wenn wir das Thema Soziale Balance nicht ernst nehmen, wird das Gefühl für das gemeinsame Ganze – einem Grundpfeiler der Demokratie - verloren gehen."
Im Anschluss an die Vorträge entwickelte sich eine lebhafte Diskussion zwischen Podium und Plenum. Udo Zippel brachte das Thema Inklusion und frühkindliche Förderung zur Sprache: Kinder und auch die Eltern sollten in inklusiven Familienzentren einen verlässlichen Partner finden, der den Kindern schon im U3-Bereich eine maßgeschneiderte Förderung ermöglicht und für die Eltern ein Berater bei allen familiären Problemen ist, so wie es die integrativen Familienzentren der Stiftung schon seit längerem anbieten. Walter Kern als Vertreter des Kinderschutzbundes hielt dagegen, dass Kinder bis zum Alter von zwei Jahren die Möglichkeit haben sollten, von Vater oder Mutter zu Hause betreut zu werden. Schlussendlich war man sich in dem Punkt einig, dass eine inklusive Erziehung in Kitas und Schulen, die sich über alle religiösen, gesellschaftlichen, sprachlichen und gesundheitlichen Barrieren hinweg setzt, die beste Voraussetzung für eine umfassende Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft ist.

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